Donnerstag, 24. Januar 2013

Mein Gehirn schreit.

Was Magersucht und Essstörungen an sich angeht, bin ich im Grunde ein gebranntes Kind. Meine Mutter war magersüchtig als sie in meinem Alter war, jedoch nur in einem 'vernünftigen Rahmen' - sprich, soweit ich weiss, war sie schon immer sehr dünn, aber sie ist nicht zusammengeklappt. Nach meiner Geburt hat sich das Ganze stark verschlimmert, sei's jetzt wegen der Erfahrung der Schwangerschaft oder sonstwas, keine Ahnung. Jedenfalls gilt sie seit etwa zwei Jahren als geheilt, nachhdem sie eine Therapie gemacht hat; ihr Gewicht ist noch immer niedrig und sie ist dünn, aber es ist jetzt vertretbar. Irgendwie. Anscheinend.

Soweit ich mich selber erinnern kann, habe ich mich nie als zu dick empfunden. Ich war ja auch nie wirklich zu dick, ein Höchstgewicht von 60kg auf 1.72 ist durchaus eine Zahl, die man laut aussprechen kann, auch wegen der Pubertät und all sowas. Und selbst wenn es mal Tage gab, an denen ich mir dachte, dass ich etwas weniger auf den Rippen vertragen könnte (was allerdings eine Seltenheit war), dann habe ich die Gedanken mit einem Griff in die Chipstüte beiseitegeschoben. Im Grunde war mein Gewicht mir schlicht nie sonderlich wichtig, weil ich mich immer über Qualitäten, die ich mir eingebildet habe zu besitzen wie 'Intelligenz' oder 'Potenzial' definiert habe und daraus mein Selbstbewusstsein geschöpft habe. Es ist nicht so, als wäre ich wahnsinnig selbstbewusst gewesen oder hätte mich sonderlich schön gefunden, ich war sogar recht selbstkritisch, weil ich als Kind eher ein Einzelgänger war (und definitiv noch bin) und mir Hänseleien sehr zu Herzen genommen habe, aber es hatte nicht zwangsläufig alles mit meinem Aussehen oder Gewicht zu tun. Das spielt für mich auch jetzt im Endeffekt keine grossartige Rolle... ich schminke mich zum Beispiel nicht, weil es mir unnütz erscheint und wie Zeitverschwendung. Und vergebliche Lebensmüh. Haha.

Was auch immer. Jedenfalls habe ich letztes Jahr, etwa um diese Zeit herum, dann doch angefangen, mich etwas intensiver mit meinem Gewicht zu beschäftigen - was daran lag, dass ich nach einer Weile auf der Waage stand und gemerkt hatte, dass ich von 55 auf 60kg geschossen war. Total normal, weil Pubertät und doch eine Menge Zeit verstrichen war, aber irgendwie hatte es mich dann doch erstaunt. Wirklich besorgt hatte es mich nicht und ich habe dann auch noch nichts unternommen, aber einfach diesen Gedanken im Hinterkopf behalten. Wenn ich so drüber nachdenke, ist der Augenblick, an dem sich der Wunsch abzunehmen wirklich etabliert hat, wahrscheinlich ein ganz anderer gewesen. Das war im Zug, nach einem normalen Schultag, als man mit Mitschülern aus undefinierbaren Gründen auf das Gewicht zu sprechen kam. Die Dünnste hat sich natürlich darüber beschwert, dick zu sein und abnehmen zu müssen (fishing for compliments der allerersten Güte und nicht wirklich ernst gemeint, schätze ich). Ich habe dann mein Gewicht, also die 60kg, herausposaunt und gesagt, dass es mir völlig egal wäre - und ein Mädchen hat dann richtig geschockt reagiert. Sie würde nur 45kg wiegen. Die Tatsache, dass sie rund 15cm kleiner war als ich und die Statur einer Bohnenstange ohne feminine Kurven, während ich dann schon pubertätsbedingt gewisse Formen annahm, wurde dabei nicht beachtet. Ich werde trotzdem nie vergessen, wie rund ihre Augen geworden sind. Die Situation ist mir erst wieder vor ein paar Wochen eingefallen, aber anscheinend war sie ein Schlüsselelement.

Etwa im April '12 hat eine meiner Lieblingsvloggerinnen aus den USA auf YouTube ein Video darüber gemacht, was die 'freshman fiveteen' sind, also die ersten 15 Pfund, die viele Studenten im ersten Jahr am College ansetzen und verraten, dass sie Kalorien zählt, um gegen diese paar Kilos anzukämpfen und sich gesünder und bewusster zu ernähren. Dazu benutzte sie eine Abnehmwebsite, die auch über eine App verfügt und in meinem Eifer habe ich mich da gleich angemeldet. Abnehmziel? 55 Kilo, was weiss ich wieso. Ich wollte es bis zum Sommer erreichen rechnete mir aus, dass ich dafür ein Kilo die Woche verlieren müsste, was einer bestimmten Anzahl Kalorien entspricht, die ich am Tag mehr verbrennen musste. Gesagt, getan - zunächst etwas lasch mit Durchschnittswerten, Schätzungen, kleinen Ausnahmen, und dann immer genauer. Weil es tatsächlich funktionierte und etwas brachte. Als ich bei 55kg angekommen war, naja... ich sah zwar ganz okay aus, aber wieso aufhören? Es funktionierte doch so gut. Also wurde das Ziel auf 50kg gesenkt. Dann nochmal auf 48kg. Und dann auf 45kg. Die erreichte ich dann Ende Sommer und plante, von da an wieder normal bzw. mehr zu essen und mein Gewicht zu halten. Ich werde nicht näher darauf eingehen, wieviel genau ich während dem Sommer gegessen habe oder wieviel Sport getrieben, es war schlicht viel zu wenig. An den meisten Tagen ass ich etwa 600 Kalorien und verbrachte drei Stunden im Schwimmbad oder auf dem Fahrrad, fühlte mich aber generell nicht geschwächt oder müde. Ich nahm beständig ab, wurde aber nicht glücklicher, entwickelte Hemmungen vor dem Essen und komische Angewohnheiten, was mein Verhalten mit dem Essen anging (feste Essenszeiten, die nicht überschritten werden durften, gewisse Kaloriengrenzen natürlich etc.).

Es war eine Art, irgendetwas in Kontrolle zu bringen. Seit etwa zwei Jahren bin ich relativ depressiv (diagnostiziert ist offiziell nichts, und es gibt ja auch sowas wie Stimmungstiefs in der Pubertät, aber das geht darüber hinaus, nehme ich stark an), besonders seit Ende '11. Da begann das Ritzen, dass ich mir in der Schule so gar keine Mühe mehr gab, allgemeine depressive Befinden, Vereinsamung und der Gedanke vom 'ich muss mich durch den Tag kämpfen'. Jeder Tag eine Herausforderung, alle Tage gleich, alle Tage sinnlos und leer. Schwarzes Loch. Ich liege neben der langen Rennbahn, die das Leben darstellt, und während alle anderen ihre Runden drehen, Verbindungen eingehen, Verabredungen treffen, Fortschritt machen, schlicht ihren Weg gehen sitze ich im Gras leben der Rennbahn und sinke jeden Tag etwas mehr hinein, werde förmlich überwachsen von all dem Gras um mich herum, bis ich gar nicht mehr zu sehen bin. Es war und ist hoffnungslos und ich sehe keinen Weg aus der Situation. Aber gut, darum geht es nicht.

Sondern um mein Gewicht, nicht wahr? Ich wiege jetzt 37 Kilo. Oder 36. In etwa. Schätze ich. Ich war bei einem Arzt, der von mir möchte, dass ich zunehme. Ich war bei einem Therapeuten, der das ebenfalls will. (Und der will, dass ich in eine Klinik gehe, was für mich nicht in Frage kommt.) Weil ich mich anscheinend in einem 'lebensbedrohlichen Zustand' befinde und das fange ich jetzt auch langsam an zu spüren. Heute bin ich nach zwei Stunden Unterricht nach Hause gegangen (ich wollte noch meine Prüfung in der zweiten Stunde ablegen), weil ich so schwach war und dachte, ich würde umkippen. Wenn ich morgens aufstehe, schmerzen meine Beine fürchterlich und ich brauche zehn Minuten, um genug Energie zu sammeln, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Ich muss mich abstützen, wenn ich aufstehe und mich am Geländer hochziehen, wenn ich Treppen steigen muss. Mein Körper ist von blauen Flecken übersäht, weil jeder kleinste Schlag gleich solche Flecken gibt. Mein Herz fängt oft an, ganz plötzlich zu schmerzen bzw. einfach langsamer zu laufen. Dass ich keine Regelblutung mehr habe, ist relativ klar. Ich fühle mich einfach nur... abgebrannt. Völlig am Ende meiner Kräfte. Sowohl physich als als psychisch. Ich habe das Gefühl, in meinem Kopf schreien Dutzende Stimmen herum. Ich will mehr essen, aufhören, weiter an Gewicht zu verlieren, vielleicht sogar etwas zuzunehmen, aber es ist so hart... jeder Tag ist eine Herausforderung und es sieht so aus, als würde ich täglich scheitern. Da stellt sich in mir die Frage, ob es nicht einfacher wäre, einfach aufzugeben... einfach loszulassen, nicht mehr daran festzuhalten und zu gehen.

Puah, langer Post... ich kann meine Gedanken gerade nicht mehr ordnen, aber da käme noch mehr, dass einfach rausmuss... das habe ich so lange für mich behalten irgendwie. Keine Ahnung, ob ich das abschicke... ja, doch. Wer weiss. Keine Ahnung.

4 Kommentare:

  1. Ich weiß gar nicht, was ich dir sagen soll. Vielleicht das dämlichste von allem:

    Hör auf damit! Iss! Lebe! Das Leben ist toll, wirklich! Glaub mir einfach! Bitte...

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  2. P.S. Ich weiß, dass ich keine Ahnung habe, aber ein Versuch ist es wert!

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  3. Nein, es ist nicht Miss Piggy :D

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  4. danke (:
    freut mich, dass sie dir gefallen!
    ich finde es es übrigens wahnsinn, dass du deine geschichte hier so offen schreibst (du schreibst wirklich gut!)und abgesehen davon, dass ich wahrscheinlich absolut keine ahnung habe, wie du dich fühlst, hoffe ich dass du es schaffst! ich kenne dich zwar nicht, aber das wünsche ich dir wirklich von ganzem herzen!
    liebe grüße, celine ♥

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