Was Magersucht und Essstörungen an sich angeht, bin ich im
Grunde ein gebranntes Kind. Meine Mutter war magersüchtig als sie in
meinem Alter war, jedoch nur in einem 'vernünftigen Rahmen' - sprich,
soweit ich weiss, war sie schon immer sehr dünn, aber sie ist nicht
zusammengeklappt. Nach meiner Geburt hat sich das Ganze stark
verschlimmert, sei's jetzt wegen der Erfahrung der Schwangerschaft oder
sonstwas, keine Ahnung. Jedenfalls gilt sie seit etwa zwei Jahren als
geheilt, nachhdem sie eine Therapie gemacht hat; ihr Gewicht ist noch
immer niedrig und sie ist dünn, aber es ist jetzt vertretbar. Irgendwie.
Anscheinend.
Soweit ich mich selber erinnern kann, habe ich mich
nie als zu dick empfunden. Ich war ja auch nie wirklich zu dick, ein
Höchstgewicht von 60kg auf 1.72 ist durchaus eine Zahl, die man laut
aussprechen kann, auch wegen der Pubertät und all sowas. Und selbst wenn
es mal Tage gab, an denen ich mir dachte, dass ich etwas weniger auf
den Rippen vertragen könnte (was allerdings eine Seltenheit war), dann
habe ich die Gedanken mit einem Griff in die Chipstüte
beiseitegeschoben. Im Grunde war mein Gewicht mir schlicht nie
sonderlich wichtig, weil ich mich immer über Qualitäten, die ich mir
eingebildet habe zu besitzen wie 'Intelligenz' oder 'Potenzial'
definiert habe und daraus mein Selbstbewusstsein geschöpft habe. Es ist
nicht so, als wäre ich wahnsinnig selbstbewusst gewesen oder hätte mich
sonderlich schön gefunden, ich war sogar recht selbstkritisch, weil ich
als Kind eher ein Einzelgänger war (und definitiv noch bin) und mir
Hänseleien sehr zu Herzen genommen habe, aber es hatte nicht
zwangsläufig alles mit meinem Aussehen oder Gewicht zu tun. Das spielt
für mich auch jetzt im Endeffekt keine grossartige Rolle... ich schminke
mich zum Beispiel nicht, weil es mir unnütz erscheint und wie
Zeitverschwendung. Und vergebliche Lebensmüh. Haha.
Was auch
immer. Jedenfalls habe ich letztes Jahr, etwa um diese Zeit herum, dann
doch angefangen, mich etwas intensiver mit meinem Gewicht zu
beschäftigen - was daran lag, dass ich nach einer Weile auf der Waage
stand und gemerkt hatte, dass ich von 55 auf 60kg geschossen war. Total
normal, weil Pubertät und doch eine Menge Zeit verstrichen war, aber
irgendwie hatte es mich dann doch erstaunt. Wirklich besorgt hatte es
mich nicht und ich habe dann auch noch nichts unternommen, aber einfach
diesen Gedanken im Hinterkopf behalten. Wenn ich so drüber nachdenke,
ist der Augenblick, an dem sich der Wunsch abzunehmen wirklich etabliert
hat, wahrscheinlich ein ganz anderer gewesen. Das war im Zug, nach
einem normalen Schultag, als man mit Mitschülern aus undefinierbaren
Gründen auf das Gewicht zu sprechen kam. Die Dünnste hat sich natürlich
darüber beschwert, dick zu sein und abnehmen zu müssen (fishing for
compliments der allerersten Güte und nicht wirklich ernst gemeint,
schätze ich). Ich habe dann mein Gewicht, also die 60kg, herausposaunt
und gesagt, dass es mir völlig egal wäre - und ein Mädchen hat dann
richtig geschockt reagiert. Sie würde nur 45kg wiegen. Die Tatsache,
dass sie rund 15cm kleiner war als ich und die Statur einer Bohnenstange
ohne feminine Kurven, während ich dann schon pubertätsbedingt gewisse
Formen annahm, wurde dabei nicht beachtet. Ich werde trotzdem nie
vergessen, wie rund ihre Augen geworden sind. Die Situation ist mir erst
wieder vor ein paar Wochen eingefallen, aber anscheinend war sie ein
Schlüsselelement.
Etwa im April '12 hat eine meiner
Lieblingsvloggerinnen aus den USA auf YouTube ein Video darüber gemacht,
was die 'freshman fiveteen' sind, also die ersten 15 Pfund, die viele
Studenten im ersten Jahr am College ansetzen und verraten, dass sie
Kalorien zählt, um gegen diese paar Kilos anzukämpfen und sich gesünder
und bewusster zu ernähren. Dazu benutzte sie eine Abnehmwebsite, die
auch über eine App verfügt und in meinem Eifer habe ich mich da gleich
angemeldet. Abnehmziel? 55 Kilo, was weiss ich wieso. Ich wollte es bis
zum Sommer erreichen rechnete mir aus, dass ich dafür ein Kilo die Woche
verlieren müsste, was einer bestimmten Anzahl Kalorien entspricht, die
ich am Tag mehr verbrennen musste. Gesagt, getan - zunächst etwas lasch
mit Durchschnittswerten, Schätzungen, kleinen Ausnahmen, und dann immer
genauer. Weil es tatsächlich funktionierte und etwas brachte. Als ich
bei 55kg angekommen war, naja... ich sah zwar ganz okay aus, aber wieso
aufhören? Es funktionierte doch so gut. Also wurde das Ziel auf 50kg
gesenkt. Dann nochmal auf 48kg. Und dann auf 45kg. Die erreichte ich
dann Ende Sommer und plante, von da an wieder normal bzw. mehr zu essen
und mein Gewicht zu halten. Ich werde nicht näher darauf eingehen,
wieviel genau ich während dem Sommer gegessen habe oder wieviel Sport
getrieben, es war schlicht viel zu wenig. An den meisten Tagen ass ich
etwa 600 Kalorien und verbrachte drei Stunden im Schwimmbad oder auf dem
Fahrrad, fühlte mich aber generell nicht geschwächt oder müde. Ich nahm
beständig ab, wurde aber nicht glücklicher, entwickelte Hemmungen vor
dem Essen und komische Angewohnheiten, was mein Verhalten mit dem Essen
anging (feste Essenszeiten, die nicht überschritten werden durften,
gewisse Kaloriengrenzen natürlich etc.).
Es war eine Art,
irgendetwas in Kontrolle zu bringen. Seit etwa zwei Jahren bin ich
relativ depressiv (diagnostiziert ist offiziell nichts, und es gibt ja
auch sowas wie Stimmungstiefs in der Pubertät, aber das geht darüber
hinaus, nehme ich stark an), besonders seit Ende '11. Da begann das Ritzen,
dass ich mir in der Schule so gar keine Mühe mehr gab, allgemeine
depressive Befinden, Vereinsamung und der Gedanke vom 'ich muss mich
durch den Tag kämpfen'. Jeder Tag eine Herausforderung, alle Tage
gleich, alle Tage sinnlos und leer. Schwarzes Loch. Ich liege neben der
langen Rennbahn, die das Leben darstellt, und während alle anderen ihre
Runden drehen, Verbindungen eingehen, Verabredungen treffen, Fortschritt
machen, schlicht ihren Weg gehen sitze ich im Gras leben der Rennbahn
und sinke jeden Tag etwas mehr hinein, werde förmlich überwachsen von
all dem Gras um mich herum, bis ich gar nicht mehr zu sehen bin. Es war
und ist hoffnungslos und ich sehe keinen Weg aus der Situation. Aber
gut, darum geht es nicht.
Sondern um mein Gewicht, nicht wahr?
Ich wiege jetzt 37 Kilo. Oder 36. In etwa. Schätze ich. Ich war bei
einem Arzt, der von mir möchte, dass ich zunehme. Ich war bei einem
Therapeuten, der das ebenfalls will. (Und der will, dass ich in eine
Klinik gehe, was für mich nicht in Frage kommt.) Weil ich mich
anscheinend in einem 'lebensbedrohlichen Zustand' befinde und das fange
ich jetzt auch langsam an zu spüren. Heute bin ich nach zwei Stunden
Unterricht nach Hause gegangen (ich wollte noch meine Prüfung in der
zweiten Stunde ablegen), weil ich so schwach war und dachte, ich würde
umkippen. Wenn ich morgens aufstehe, schmerzen meine Beine fürchterlich
und ich brauche zehn Minuten, um genug Energie zu sammeln, um überhaupt
aus dem Bett zu kommen. Ich muss mich abstützen, wenn ich aufstehe und
mich am Geländer hochziehen, wenn ich Treppen steigen muss. Mein Körper
ist von blauen Flecken übersäht, weil jeder kleinste Schlag gleich
solche Flecken gibt. Mein Herz fängt oft an, ganz plötzlich zu schmerzen
bzw. einfach langsamer zu laufen. Dass ich keine Regelblutung mehr
habe, ist relativ klar. Ich fühle mich einfach nur... abgebrannt. Völlig
am Ende meiner Kräfte. Sowohl physich als als psychisch. Ich habe das
Gefühl, in meinem Kopf schreien Dutzende Stimmen herum. Ich will mehr
essen, aufhören, weiter an Gewicht zu verlieren, vielleicht sogar etwas
zuzunehmen, aber es ist so hart... jeder Tag ist eine Herausforderung
und es sieht so aus, als würde ich täglich scheitern. Da stellt sich in
mir die Frage, ob es nicht einfacher wäre, einfach aufzugeben... einfach
loszulassen, nicht mehr daran festzuhalten und zu gehen.
Puah,
langer Post... ich kann meine Gedanken gerade nicht mehr ordnen, aber da
käme noch mehr, dass einfach rausmuss... das habe ich so lange für mich
behalten irgendwie. Keine Ahnung, ob ich das abschicke... ja, doch. Wer
weiss. Keine Ahnung.
Ich weiß gar nicht, was ich dir sagen soll. Vielleicht das dämlichste von allem:
AntwortenLöschenHör auf damit! Iss! Lebe! Das Leben ist toll, wirklich! Glaub mir einfach! Bitte...
P.S. Ich weiß, dass ich keine Ahnung habe, aber ein Versuch ist es wert!
AntwortenLöschenNein, es ist nicht Miss Piggy :D
AntwortenLöschendanke (:
AntwortenLöschenfreut mich, dass sie dir gefallen!
ich finde es es übrigens wahnsinn, dass du deine geschichte hier so offen schreibst (du schreibst wirklich gut!)und abgesehen davon, dass ich wahrscheinlich absolut keine ahnung habe, wie du dich fühlst, hoffe ich dass du es schaffst! ich kenne dich zwar nicht, aber das wünsche ich dir wirklich von ganzem herzen!
liebe grüße, celine ♥