Samstag, 4. Januar 2014

Wunschträume

Es gibt diese Momente, die kurz vor dem Schlafen. Man liegt bereits in der Dunkelheit im Bett, alles ist still und man wartet bloss noch darauf, dass einen der Schlaf übermannt. Die Gedanken schweifen ab, kehren immer wieder zu den Themen zurück, die man bestenfalls tagsüber erfolgreich verdrängen konnte.

Früher habe ich in diesen Augenblicken immer an meine Zukunft gedachte. Oft habe ich stundenlang nicht geschlafen, weil ich einfach nur damit beschäftigt war, mir mein zukünftiges Leben auszumalen. Dabei waren das nie wirklich unmögliche Kleinmädchenträume, die ohnehin kaum erfüllbar sind. Nein, ich habe mir nicht vorgestellt, wie ich ein Topmodell werde, einen Reitstall leite oder einen Nobelpreis gewinne. Wenn ich mich an diese Träume zurückerinnere, waren es meist alltägliche Situationen. Als Zehn-, Zwölfjährige hatte ich zwar einiges an Fantasie, habe mir die folgenden Jahre aber nicht fantastisch vorgestellt.

Meistens habe ich mich damit begnügt, mich mit 16, 18, 20, 25 oder welchem Alter auch immer vorzustellen. Wie sehe ich aus? Was mache ich beruflich bzw. schulisch? Habe ich einen Freund und wenn ja, wie ist er? Habe ich Freunde gefunden, die mich mögen? Bin ich glücklich?
Im Grunde war es egal, wie die Details waren… das wesentliche war stets identisch. Immer war ich glücklich, zufrieden mit meinem Leben, mit einem Freundeskreis und beruflich gesehen keine Niete. Die Probleme und Schwierigkeiten, die ich mit zwölf noch hatte, sprich Schüchternheit, Unsicherheit und ähnliches waren nicht unbedingt komplett verschwunden, doch in meiner Vorstellung hatte ich gelernt damit umzugehen, damit zu leben, daraus vielleicht sogar eine Qualität zu machen.

Mir meine Zukunft auszumalen hat mich nicht nur beschäftigt, bis ich eingeschlafen bin… sie hat mir immer solch ein gutes Gefühl im Bauch gegeben, wie warmer, flüssiger Honig. Als würde alles einmal gut werden und aus dem kleinen, etwas unbeliebten Mädchen etwas werden, auf das sie stolz sein könnte. Eine Person mit Ecken und Kanten, die trotzdem oder gerade eben ihren Platz in der Welt gefunden hat und die weiss, wer sie ist.

Meine Vorstellungen waren nie unerreichbar - doch wenn ich so darüber nachdenke, habe ich mir zwar vieles vorgestellt, doch dieses Szenario, das Leben, welches ich nun lebe, ist mir nie in den Sinn gekommen. Dabei geht es noch nicht einmal um irgendwelche Krankenhausaufenthalte, Erkrankungen, soziale Entfremdung, Unzulänglichkeit, Selbsthass oder sonst irgendetwas. Das sind alles bloss Puzzlestücke, Fragmente. Vielmehr geht es darum, dass ich mir nie erträumt habe, ich würde einmal… so enden. Nicht etwa als starke Frau, die mit sich im Reinen ist und ihren Platz hat, sondern als verschrecktes, ängstliches Wesen ohne Sinn und Daseinsberechtigung.

Wenn ich jetzt nicht schlafen kann und mich hin und her wälze, versuche, Schlaf zu finden und in die Dunkelheit starre, stelle ich mir meine Zukunft nicht mehr vor. Es ist schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, wenn selbst die Gegenwart realitätsfern erscheint. Nein, wenn ich nicht schlafen kann, muss ich jetzt unweigerlich daran denken, was das kleine Mädchen von vor sechs und mehr Jahren denken würde, könnte sie sich selbst jetzt sehen. Wie enttäuscht sie wäre, dass doch kein Grund besteht, auf das Kommende zu hoffen und zu vertrauen, dass es keinen Grund gibt, auf ihre zukünftige Person stolz zu sein.